Kaum eine Rasse wird so kontrovers diskutiert wie Malinois, Herder und Schäferhunde. Und nirgendwo kursieren so viele Mythen darüber, was diese Hunde angeblich brauchen.
„Ich lese überall, dass man einen Malinois gar nicht richtig auslasten kann – dafür müsste der Tag 40 Stunden haben.“
„Wird er nicht ausgelastet, beschäftigt er sich eben selber oder dreht durch – heißt es ja immer bei diesen Hunden.“
„So ein Hund braucht unbedingt Schutzdienst oder Sport, sonst wird das doch ein Problemhund.“
Solche Sätze hört man in fast jeder Diskussion über Malinois, Herder oder Schäferhunde. Viele Halter hören sie so oft, dass sie irgendwann wie eine feste Wahrheit klingen. Doch wer sich tiefer mit Verhalten beschäftigt, merkt schnell: Hinter diesen Aussagen steckt meist ein Missverständnis darüber, warum ein Hund sich überhaupt so verhält, wie er sich verhält.

Oft wird gesagt, ein Hund habe „zu viel Trieb“. Mit Trieb ist dabei meist ein innerer Druck gemeint, der unbedingt „raus“ müsse. Die moderne Verhaltensbiologie sieht das jedoch anders. Hunde handeln nicht, weil sich in ihnen etwas aufstaut, sondern weil ihr Nervensystem Reize verarbeitet – und zwar je nach Hund unterschiedlich schnell, unterschiedlich intensiv und mit unterschiedlicher Schwelle. Manche Hunde dieser Rassen haben eine sehr fein eingestellte Wahrnehmung. Ihr Alarm- und Bewertungssystem (Amygdala, das Zentrum, das Reize auf Bedeutung prüft) arbeitet schneller, und ihre innere Aktivierung (Grundspannung) steigt früher an. Das ist weder krankhaft noch ein Fehler – es ist ein Teil ihrer genetischen Ausstattung.

Solche Hunde wirken im Alltag oft „triebig“, dabei sind sie in Wahrheit nur sehr reaktiv (hochsensible Reizverarbeitung), was bedeutet:
Sie bemerken viel, sie sortieren viel und sie kommen aus dieser inneren Bereitschaft nicht so leicht heraus. Wenn diese Hunde dann über Sport, Training oder Schutzdienst immer wieder in hohe Aktivierung gebracht werden, sinkt diese Grundspannung nicht unbedingt. Sie bleibt eher stabil – und manche Hunde kennen gar nicht das Gefühl echter Ruhe, sondern nur den Wechsel zwischen „bereit“ und „noch bereiter“.
Doch das gilt längst nicht für alle Malinois, Herder oder Schäferhunde. Es gibt viele Hunde dieser Rassen, die ausgesprochen stabil, ruhig und gelassen leben – auch wenn sie sportlich geführt werden oder im Dienst arbeiten. Diensthunde wären nicht zuverlässig einsetzbar, wenn alle Hunde dieser Rassen ständig aufdrehen würden. Diese Hunde haben eine andere innere Balance: Sie reagieren nicht auf jeden kleinen Reiz, ihre Aktivierung baut sich nach der Arbeit wieder ab, und sie finden nach Anstrengung zuverlässig in Entspannung zurück.

Genau hier entsteht bei vielen Haltern ein Denkfehler:
„Der Diensthund ist auch ein Malinois – meiner ist doch derselbe Typ.“
Aber in Wahrheit unterscheiden sich diese Hunde oft stark. Es gibt Linien, die besonders fein reagieren, und solche, die robuster sind. Es gibt Hunde, die von Natur aus gut filtern, und andere, die jeden Funken aufnehmen. Und es gibt Hunde, die durch Erfahrungen gelernt haben, mit Anspannung umzugehen – und solche, die das nie gelernt haben und deshalb schnell „überlaufen“.
Als Tierpsychologin sehe ich genau diese Unterschiede im Alltag: Manche Hunde dieser Rassen sind wirklich sehr schnell oben, kaum abschaltbar, immer auf Empfang. Andere sind glasklar, strukturiert und angenehm entspannt – auch nach Arbeit, Sport oder IGP. Der Unterschied liegt nicht in der Menge an Beschäftigung, sondern in der inneren Ausstattung: Wie reagiert das Nervensystem? Wie schnell baut es Spannung auf? Und wie gut findet der Hund zurück in Sicherheit und Ruhe?

Deshalb ist der Satz „Die müssen unbedingt in den Schutzdienst“ oft zu kurz gedacht. Für manche Hunde passt dieser Rahmen tatsächlich – er gibt Struktur, Klarheit, Aufgabe und einen definierten Anfang und ein Ende. Für andere Hunde ist genau dieser hohe Aktivierungslevel der Grund dafür, dass sie im Alltag erst recht nicht zur Ruhe finden.
Nicht jeder Malinois, Herder oder Schäferhund braucht also „Auslastung bis zum Umfallen“. Viele sind ausgesprochen ruhig und stabil – ohne sportliches Programm oder Schutzdienst. Aber wenn du bei deinem Hund merkst, dass er schnell hochfährt, viel scannt, schlecht abschaltet oder sich nach Aufregung schwer beruhigt, lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen: Warum reagiert ausgerechnet dein Hund so?
Das hat nichts mit mangelndem Training zu tun – sondern mit seiner inneren Struktur.
Und genau das ist der Punkt, an dem tierpsychologische Unterstützung sinnvoll sein kann.
Nicht, weil „etwas nicht stimmt“, sondern weil du verstehen möchtest, was in deinem Hund passiert – und was ihm hilft, wirklich wieder in Balance zu kommen.
Wenn du bei deinem Malinois, Schäfer oder Herder genau solche Verhaltensweisen beobachtest und deinen Hund unterstützen möchtest, leichter Ruhe zu finden, melde dich gern. Ein Blickwechsel kann manchmal mehr verändern als jede zusätzliche Trainingseinheit.


