Wenn die Leine zur Sprache wird – Verbindung statt Kontrolle (Teil 2)

Im ersten Teil ging es darum, warum Ziehen keine Trainingssache ist, sondern Ausdruck von innerer Anspannung – eines Nervensystems, das schon längst aktiv ist, bevor der Kopf reagieren kann. Heute geht es um die Frage, wie wir erkennen, wann unser Hund noch aufnahmefähig ist – und was wir tun können, damit Verbindung wieder möglich wird.

Kennst du das?
Du gehst mit deiner Fellnase los, und eigentlich fühlt sich alles ganz ruhig an – bis plötzlich wieder Zug auf der Leine kommt.
Manchmal reicht schon ein Geräusch, ein Geruch, ein anderer Hund – und dein Hund ist wie ausgewechselt.
Die Leine spannt sich, der Körper wird hart, die Ohren sind nach vorn gerichtet.
Du spürst, dass er dich gar nicht mehr wahrnimmt.

Viele Menschen beschreiben diesen Moment als „Wegsein“ oder „im Tunnel“.
Als wäre der Hund nur noch im Reiz – und du als Mensch irgendwo dahinter.
Genau hier beginnt der zweite Blickwechsel: Wie kommen wir dich und deine Fellnase beide wieder zueinander, wenn die Spannung schon da ist?

Das innere Gleichgewicht erkennen

Jeder Hund bewegt sich innerhalb eines bestimmten Spannungsrahmens – eines Bereichs, in dem er Reize aufnehmen, verarbeiten und angemessen reagieren kann.
Dieses „Fenster der Toleranz“ ist bei jedem Hund unterschiedlich groß.

Wenn dein Hund dieses Fenster verlässt, übernimmt das Nervensystem.
Dann reagiert der Körper automatisch: Muskeln spannen sich, der Herzschlag beschleunigt sich, Hormone wie Adrenalin werden ausgeschüttet.
Der Körper will Bewegung, Distanz, Schutz – das ist kein Ungehorsam, sondern Biologie.

Vielleicht hast du selbst schon beobachtet, wie dein Hund an manchen Tagen gelassen bleibt –
und an anderen scheinbar ohne Grund „hochfährt“.
Das sind die feinen Zeichen, dass sein Körper gerade in Alarmbereitschaft ist.
Solange das Nervensystem so aktiv ist, ist Lernen kaum möglich.

Und genau hier lohnt sich unser Blick:
Was braucht der Körper, um wieder in Balance zu kommen – und wie kann ich ihn dabei unterstützen?

Wenn zwei Nervensysteme miteinander sprechen

Was viele vergessen: Auch unser eigenes Nervensystem reagiert.
Wenn du dich sorgst, ärgerst oder schon erwartest, dass dein Hund gleich wieder zieht, spürt er das in Sekundenschnelle.
Deine Atmung verändert sich, dein Puls steigt, deine Muskulatur spannt sich – und sein Körper antwortet darauf.

In der Neurobiologie spricht man von Co-Regulation – dem Zusammenspiel zweier Nervensysteme, die sich gegenseitig beeinflussen.
Dein Hund orientiert sich unbewusst an deinem Körperzustand, lange bevor er deine Worte hört.
Wenn du ruhiger wirst, kann auch er sich beruhigen.
Wenn du dagegen unbewusst gegenhältst, verstärkt sich seine Spannung.

Vielleicht erinnerst du dich an Spaziergänge, an denen du schon beim Losgehen dachtest: „Bitte, heute nicht wieder.“
Und genau das spürt dein Hund – noch bevor ihr draußen seid.

Diese feine Verbindung ist keine Magie, sondern Biologie.
Zwei Körper, die sich gegenseitig spiegeln, zwei Systeme, die sich gegenseitig regulieren – oder hochschaukeln.

Zurück in die Balance – über Körper und Atem

Viele meiner Klienten erleben, dass sich das Verhalten ihres Hundes verändert,
sobald sie selbst ruhiger werden.
Ein weicher Atem, ein bewusster Schritt, ein Moment Stille –
und plötzlich spürt der Hund: Es ist sicher.

Vielleicht kennst du das:
Ein Atemzug, ein kurzer Blickkontakt – und dein Hund atmet mit dir aus.
In diesem Moment geschieht Regulation:
Das Nervensystem schaltet vom Alarmmodus (Sympathikus) in den Sicherheitsmodus (Vagus).
Die Muskeln entspannen sich, der Blick wird weich, das Denken wird wieder möglich.

In meiner Arbeit nutze ich dafür unter anderem Elemente aus dem Waldcoaching
und dem Autogenen Training.
Beides hilft, den eigenen Körper wieder zu spüren,
die Atmung zu verlangsamen und die Gedanken zur Ruhe kommen zu lassen.
Denn erst, wenn der Mensch in seiner Mitte ist,
kann der Hund sich daran orientieren.

Diese Momente der Ruhe sind kein Training,
sondern Begegnung – von Nervensystem zu Nervensystem.
Und oft ist genau das der Moment, in dem die Leine wieder weich wird.

Wenn Verbindung wieder möglich wird

Sobald Sicherheit entsteht, öffnet sich das Lernfenster wieder.
Der Hund kann wahrnehmen, hören, reagieren.
Dann beginnt nicht nur Verhaltenstraining –
sondern echtes, gemeinsames Lernen.

Vielleicht erkennst du diese kleinen Fortschritte:
Ein kurzer Blick nach dir, ein langsamerer Schritt,
dieser winzige Moment, in dem dein Hund dich wieder wahrnimmt.
Genau hier entsteht Verbindung – still, unspektakulär, aber tief.

Leinenführigkeit ist kein Ziel, das man „erreicht“,
sondern ein Zustand gegenseitigen Vertrauens.
Ein Gleichklang zwischen Bewegung, Atmung und Gefühl.

Fazit

Wenn die Leine sich spannt, erzählt sie eine Geschichte –
von Körpern, die aufeinander reagieren,
von Emotionen, die sich gegenseitig übertragen,
und von der Möglichkeit, wieder Verbindung zu schaffen.

Und vielleicht erkennst du dich in dieser Geschichte ein bisschen wieder –
mit all den Versuchen, der Geduld, den Rückschritten
und den Momenten, in denen es plötzlich leicht wird.

Nicht über Druck.
Nicht über Kontrolle.
Sondern über das, was zwischen uns entsteht,
wenn wir wirklich in Kontakt gehen –
mit uns selbst und mit unserem Hund.

Wenn du dich und deinen Hund in diesen Zeilen wiederfindest
und spürst, dass ihr an eurer Verbindung arbeiten möchtet,
dann lass uns gemeinsam hinschauen.
Manchmal braucht es nur einen neuen Blickwinkel,
damit sich Verhalten, Spannung und Beziehung nachhaltig verändern können.

Ich begleite dich und deine Fellnase gern dabei –
mit Verständnis, Zeit und dem Wissen,
wie Körper, Emotion und Verhalten wirklich zusammenwirken.

 

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