Was uns ein Schwein über unsere Hunde verraten kann
Manchmal schreibt das Leben die besten Fallbeispiele für meine Arbeit – und manchmal kommen sie ganz unverhofft. In diesem Fall: von einem ehemaligen Mitschüler, der mich für ein Abitreffen eingeladen hatte. Wir hatten uns Jahre nicht gesehen, und weil wir kürzlich umgezogen sind, stimmten meine Kontaktdaten nicht mehr.
Also hat Stefan einfach gegoogelt – und ist dabei auf mein „Blickwechsel“-Profil gestoßen. So kam es, dass wir nach dem Klassentreffen noch etwas Kontakt über WhatsApp hielten.
Und dann kam eine Nachricht, die mich zum Schmunzeln und zum Nachdenken brachte. Eine kleine Urlaubsszene – scheinbar harmlos, aber voller Bedeutung:
„Im letzten Sommer war ich abends joggen – auf Kreta. Auf dem Rückweg saß ein Hausschwein an einer Wasserstelle. Ich habe mich neben das Schwein und den Wasserhahn gesetzt und gegrübelt … bis mir der zugedrehte Wasserhahn aufgefallen ist. Ich habe ihn aufgedreht – das Schwein hat zuerst Wasser geschlürft … und mir dann den Rücken zum Kratzen hingehalten. Wer war hier wohl der Chef – und wer der Diener?“

Beziehung auf Augenhöhe – oder doch einseitiger Service?
Was Stefan beschreibt, ist ein Paradebeispiel für das, was wir in der Tierpsychologie sozial gelernte Interaktion nennen. Das Schwein hat gelernt: An dieser Wasserstelle kommt Hilfe. Der Mensch ist nicht gefährlich – im Gegenteil. Und wenn man sich charmant genug verhält (z. B. mit dem Rücken zum Kratzen einlädt), wird man vielleicht sogar mit Zuwendung belohnt.
Ist das Manipulation? Oder einfach clevere Kommunikation?
Die Frage, „Wer war hier der Chef?“, ist dabei gar nicht so leicht zu beantworten. Denn wie oft passiert genau das in der Beziehung zwischen Mensch und Hund?
Was hat das mit unseren Hunden zu tun?
Mehr, als man denkt. Denn viele Verhaltensweisen, die wir bei unseren Fellnasen erleben – das scheinbar fordernde Bellen, das Platznehmen genau auf unserem Fuß, der Blick, der zum Streicheln auffordert –, sind oft keine „Unarten“, sondern Beziehungsangebote.
Oder besser gesagt: Verhaltensmuster mit Geschichte.
Hunde lernen schnell, was funktioniert. Und sie lernen durch Wiederholung. Wenn Nähe, Aufmerksamkeit oder Hilfe immer dann folgen, wenn ein bestimmtes Verhalten gezeigt wird, entsteht ein Muster – oft ganz unbewusst auf beiden Seiten.
Wie bei Stefans Schwein:
- Das Sitzen am Wasserhahn → signalisiert Bedürfnis
- Der Mensch erkennt es → Bedürfnis wird erfüllt
- Kontakt entsteht → Vertrauen wächst
- Der Rücken wird präsentiert → „Jetzt du – ich trau mich“
Tierpsychologisch betrachtet …
… steckt hier alles drin, was mich als Tierpsychologin interessiert:
- Operantes Lernen (Verhalten + Konsequenz = Wiederholung)
- Konditionierte Erwartung (Wasser kommt, wenn jemand da ist)
- Körpersprachliche Kommunikation (Rücken zeigen = Einladung)
- Selbstwirksamkeit (das Tier bleibt aktiv in der Situation, ohne aufzugeben)
Und genau das sehe ich auch bei vielen Hunden, die mir in meiner Arbeit begegnen:
Hunde, die gelernt haben, dass sie sich bemerkbar machen müssen, weil ihre Bedürfnisse sonst übersehen werden.
Hunde, die immer den „Chef spielen“, weil sie nie gelernt haben, sich sicher begleiten zu lassen.
Oder Hunde, die wie das Schwein an der Wasserstelle sitzen – mit leisen Signalen, die wir leicht übersehen, wenn wir es eilig haben.
Wenn forderndes Verhalten tiefer liegt
Manche Hunde wirken „anstrengend“ oder „dominant“. Doch oft liegt darunter ein einfaches, aber ungeklärtes Gefühl: „Ich weiß nicht, wie ich sonst bekomme, was ich brauche.“
Das kann sich zeigen in:
- Aufdringlichem Anstupsen
- Dauergebell in Erwartung von Aktion
- Körperkontakt fordern, aber nicht zulassen
- Rückzug oder Frust, wenn Signale nicht verstanden werden
Und ganz ehrlich? Manchmal benehmen sich unsere Hunde wie Stefans Schwein – sie wissen ganz genau, was sie tun. Nur eben aus einem anderen Grund: nicht, um uns zu ärgern, sondern weil sie in der Vergangenheit gelernt haben, dass es funktioniert.
Mein Impuls für dich:
Beobachte deinen Hund doch mal mit diesem Gedanken im Hinterkopf:
Wo sitzt mein Hund still vor dem Wasserhahn des Lebens – und hofft, dass ich endlich aufdrehe?
Welche kleinen Zeichen zeigt er, die ich im Alltag vielleicht übersehe?
Und wann darf er ganz bewusst „den Rücken hinstrecken“ und sagen: Ich bin da – bist du auch bereit für Verbindung?
Danke, Stefan!
Für diesen wunderbaren Impuls, der zeigt, wie tief echte Begegnung gehen kann – auch wenn man selbst nur kurz joggen geht. Du hast mir ein kleines Stück Alltag geschenkt, das ich so schnell nicht vergessen werde.
Und wie ist es bei dir? Gab es schon einmal eine Begegnung mit einem Tier, die dich lange begleitet hat? Schreib mir gern – ich freue mich, deine Geschichte zu lesen.